Das Früher IV
Ich erinnere mich gern an meine Kindheit.
Vor allem erinnere ich mich, dass sie bunt und fröhlich war.
Ich war gern mit meinen Freunden unterwegs. Immer irgendwas los. Grenzenlose Kinderfreiheit.
Die Sommer waren unvergleichlich. Immer erst zurück, wenn es schon viel zu dunkel war. Oft mit Schrammen, blauen Flecken, völlig durchgeschwitzt und erfüllt von Glück.
Hitze, Freibad, Wälder und Wiesen.
Mit meinem Vater bin ich oft in den Wäldern unterwegs gewesen. Scheinbar jedes Tier kannte er mit Vornamen, zu jedem hatte er etwas interessantes zu erzählen. Stundenlang saßen wir versteckt im hohen Gras und schwiegen. Es war nicht die Art unangenehmes Schweigen. Mit ihm konnte ich schweigen und genau dadurch wurde so viel gesagt.
Wir warteten auf Tiere, die uns vor die Kamera liefen. Oder hüpften. Oder flogen.
Zuhause entwickelten wir dann die Fotos. Es erschien mir immer wie Zauberei, wenn das leere Blatt Papier im Becken waberte und plötzlich erschien das Motiv darauf.
Wenn wir dann endlich wieder aus dem Keller auftauchten, wartete meine Mutter mit dem Abendessen.
Einmal sagte sie lachend, sie werde ab sofort nie wieder abends kochen, weil das Essen ja doch nur kalt werden würde und sie schob uns zwei Teller hin mit belegten Sauerteigbroten und gekochten Eiern.
Das war das köstlichste Abendessen.
Oft saßen wir dann bis spätabends auf dem Balkon. Meine Eltern am Tisch, ich auf dem Balkongeländer. Sie nippten an ihren Weingläsern und lächelten sich an, so als ob ich gerade überhaupt nicht da wäre und sie beobachten würde.
In diesen Momenten fühlte ich mich ganz leicht und besonders glücklich.
Nichts davon ist wahr.
Doch ich hätte es gerne so erlebt.
Würde ich meine schönen Kindheitserlebnisse erzählen, dann würde das kaum länger als zwanzig Minuten dauern. Würde ich noch die geliehenen Erinnerungen hinzu nehmen, dann wäre ich vielleicht bei 40 bis 60 Minuten.
Über die unschönen Erlebnisse könnte ich wenige Stunden erzählen. Ansonsten sind in meinem Gedächtnis nur leere, schwarze Gebiete. Da ist viel Nichts. Besser gesagt, viel Nichts, das nicht erinnert werden will und oder sollte.